Mehr Ruhe

Die Frankfurter Straße leidet seit langem unter dem Durchgangsverkehr. Das muss auch so bleiben, heißt es. Dabei gab es mal ganz andere Ideen.

Zur Begründung, warum es dort keine Fußgängerzone geben kann, werden immer die selben Einwände erhoben.

  1. Zu wenig Platz.

  2. Wo soll der Verkehr sonst hin?

  3. Der Bus muss durchkommen.

  4. Die Geschäfte müssen beliefert werden.

  5. Und die Anwohner nach Hause finden.

Ein Gutachten zur “Verkehrsberuhigung und Aufwertung der Innenstadt” ging dem Mitte der achtziger Jahre einmal nach. Und machte Vorschläge. Die Lektüre lohnt sich noch heute. Deshalb folgt hier eine leicht gekürzte und bearbeitete Fassung.

Zur Geschichte

“Das historische Vilbel hat sich zwischen der heutigen Bundesstraße 3 und dem Rathaus entlang der alten Landstraße nach Frankfurt entwickelt. Noch um 1800 herum lebten die rund tausend Einwohner fast ausschließlich in diesem Bereich. Die Straße diente nicht nur dem Durchgangs- und dem innerörtlichen Personen- und Warenverkehr, sondern war gleichzeitig der zentrale Raum, in dem sich das städtische Leben entfaltete. Folgerichtig orientierte sich die bis ins 17. Jahrhundert zurückgehende, allgemein zweigeschossige Bebauung mit ihren Schmuckfassaden zur Straße hin und bot eine reizvolle räumliche Gliederung.

Mit der Zunahme des Autoverkehrs nach dem zweiten Weltkrieg veränderten sich die Bedingungen, besonders in der näheren Umgebung großer Metropolen. So kam es auch in Bad Vilbel zu einer erheblichen Ausweitung der Siedlungsfläche. Die Stadt wurde mehr und mehr zu einem Vorort Frankfurts und zum Durchgangsort für Pendler. Der Charakter der Frankfurter Straße wurde dadurch schwer beeinträchtigt Der Verkehr dominierte nun fast vollständig alle anderen Funktionen. Die Frankfurter büßte ihre Bedeutung als "gute Stube" ein, was schließlich auch in der Vernachlässigung des überkommenen Stadtbildes zum Ausdruck kam. Neubauten der sechziger Jahre orientierten sich nicht mehr am Maßstab der historisch gewachsenen Ortschaft, sondern an den Vorbildern der nahen Großstadt. Zwar ist es auf diese Weise gelungen, sich gegen die Konkurrenz des mächtigen Ballungszentrums zu behaupten. In seinem Erscheinungsbild hat Vilbel jedoch viel von seiner Identität preisgegeben.”

Die Frankfurter Straße von der Einmündung am Südbahnhof bis zum alten Rathaus

Aufwertung des Stadtzentrums

“Heute geht es darum, den Bereich der Frankfurter Straße wieder zu einer lebendigen Ortsmitte zu entwickeln. Im Interesse der Gesamtstadt ist eine Aufwertung der Hauptstraße dringend geboten. Nur so kann Vilbel auf Dauer eine eigene, positiv erlebbare Stadtpersönlichkeit sichern.

Daraus ergeben sich für die Verkehrsplanung konkrete Ziele.

  • Der vorhandene Durchgangsverkehr soll in Zukunft aus der Frankfurter Straße herausgehalten werden. Die Erschließung des Gebietes (Handel, Gewerbe, Kunden, Anwohner) erfolgt jedoch weiterhin über die Frankfurter Straße.

  • Der dem Fahrverkehr gewidmete Raum soll auf das notwendige Maß begrenzt werden, damit möglichst viel Platz für Parkfläche und vor allem als Aufenthaltsfläche für Fußgänger gewonnen wird.

  • Die weitere Umgebung des zentralen Bereiches, etwa das Wohngebiet an der Bergstraße, soll durch eine Aufwertung der Frankfurter Straße nicht beeinträchtigt werden. Umgehungsverkehr oder Parkplatz-Suchverkehr sollen durch geeignete Maßnahmen verhindert werden.

  • Die Entlastung der Frankfurter Straße vom Durchgangsverkehr ist Voraussetzung für eine gestalterische und funktionale Aufwertung des öffentlichen Raumes und der umgebenden Bebauung.

  • Die öffentlichen Straßen- und Platzflächen sollen so gestaltet werden, daß ihre Qualität als Aufenthalts- und Begegnungsbereich gesteigert wird,. Ihr Charakter als Fahrstraße soll dagegen weniger in Erscheinung treten.

  • Die Bebauung an der Hauptstraße soll sich künftig in Gestaltung und Maßstäblichkeit an dem historisch gewachsenen Ortsbild Bad Vilbels orientieren.

  • Neben den zentralen Funktionen (Handel, Dienstleistungen etc.) sol1 das Wohnen weiterhin seinen Platz haben. Auch das ist ein vorrangiges Ziel. Die Wohnlichkeit, der Frankfurter Straße, ihre kleinstädtische Behaglichkeit als besondere, der Anonymität der Großstadtzentren entgegengesetzte Qualität, kann auf Dauer nur erhalten bzw. zurückgewonnen werden, wenn das Wohnen im Zentrum wieder attraktiv wird.

  • Die Frankfurter Straße soll im städtischen Gefüge nicht isoliert bleiben Erst durch eine fußgängerfreundliche Verknüpfung mit dem Bereich Nidda/Kurpark können die besonderen Qualitäten der Stadtmitte vollständig entfaltet werden. Dabei ist wichtig, daß das stadtseitige Niddaufer nicht weiterhin als eine Rückseite der Frankfurter Straße behandelt wird, sondern vielmehr als Schauseite am Flußufer.

  • Ebenso ist die Verflechtung der Ortsmitte mit den Wohngebieten anzustreben. Bevorzugte Fuß- und Radwegverbindungen können zu einer Einschränkung des ortsinternen Autoverkehrs beitragen. Wenn der Einkauf in Bad Vilbel mit einem erholsamen Spaziergang zwischen Wohnung und Zentrum verbunden ist, wird er zu einer wirklichen Alternative zur Einkaufsfahrt nach Frankfurt.”

Analyse der Verkehrsverhältnisse

“Die Untersuchung des Ingenieurbüros Hoppe/Teutscher vom Herbst 1984 lieferte eine Reihe von Daten. Die Frankfurter Straße wird demnach täglich von 5000 Pkw-Einheiten befahren. Knapp 40 Prozent dieser Verkehrsmenge besteht aus Durchgangsverkehr, also aus Fahrten, die weder Ziel noch Ausgangspunkt in der Frankfurter Straße haben. Exakt handelt es sich hierbei um 1072 Fahrten in Richtung Frankfurt und 776 Fahrten in Richtung Friedberg/Gronau. Dieser Durchgangsverkehr konzentriert sich auf die morgendliche und abendliche Spitzenstunde. Man kann davon ausgehen, daß in den Hauptverkehrszeiten etwa die Hälfte des fließenden Verkehrs in der Frankfurter Straße nicht gebundener und damit verlagerungsfähiger Durchgangsverkehr ist. Wegen der in den Hauptverkehrszeiten auftretenden Stauungen in der B 3 und in der Frankfurter Straße kommt es zu Umgehungen im Niederbergviertel. Betroffen ist hier vor allem der Straßenzug Friedrich-Ebert-Straße/Ritterstraße mit 700 Fahrten pro Tag. Im übrigen Niederbergviertel werden weniger Schleichfahrten registriert, die sich dennoch störend auswirken.”

Maßnahmen zur Entlastung

“Durch Verbesserung des Verkehrsflusses in der Kasseler Straße kann der Druck auf die Frankfurter Straße vor allem nachmittags vermindert werden. Durch bauliche Veränderungen am Knoten Gronauer Weg/Büdinger Straße könnte der Verkehr aus Richtung Gronau und damit ein nicht unerheblicher Teil des morgendlichen Durchgangsverkehrs unterbunden werden. Der Querschnitt der Frankfurter Straße würde durchgehend auf fünf Meter eingeengt, der Anschluß an der B 3 so umgestaltet, daß er nicht mehr wie der Zugang zu einer Durchfahrtsstraße wirkt. Auch im weiteren Straßenverlauf und im Bereich um das Rathaus müsste der Straßencharakter verändert und der Durchfahrtswiderstand erhöht werden.

Sperrung zwischen Erzweg und Zentralparkplatz

  • Die vollständige Sperrung dieses Straßenabschnittes führt sicher zu einer Mehrbelastung der angrenzenden Wohnstraßen (Erzweg, Bergstraße). Probleme entstehen auch für den öffentlichen Verkehr. Der Bus müsste entweder am Ortskern vorbei über die Kasseler Straße geführt werden oder mit einer Sonderregelung durch die Sperrzone fahren. Der Knotenpunkt Frankfurter Straße/Kasseler Straße würde mehr belastet.

Sperrung zwischen Ritterstraße und Zentralparkplatz.

  • Diese Maßnahme hätte ähnliche Auswirkungen. Die Erreichbarkeit des Stadtzentrums würde noch stärker beeinträchtigt. Außerdem gingen viele im Bereich der südwestlichen Frankfurter Straße vorhandenen Parkplätze verloren.

Einbahnstraße zwischen Erzweg und Zentralplatz

  • Diese Lösung erscheint als die sinnvollste. Der Bus kann dann wenigstens in einer Fahrtrichtung auch ohne Sonderregelung durch das Zentrum fahren. Möglich ist auch ein Gewinn an Bewegungs- und Aufenthaltsfläche für Fußgänger im Bereich der engen nordöstlichen Frankfurter Straße.

Einbahnstraße zwischen Erzweg und Ritterstraße

  • Eine nach Südwesten bis zur Ritterstraße/B 3 weitergeführte Einbahnstraßenregelung bringt dagegen nur Nachteile. Die Erreichbarkeit wird erheblich verschlechtert, der Umgebungsverkehr deutlich erhöht, angrenzende Wohngebiet werden stärker belastet, die Erschließung des gesamten Ortskernes muß wiederum ungünstig von Norden her erfolgen.”

Öffentlicher Raum

“Das Profil der Frankfurter Straße, an der Einmündung zirka 22 Meter breit, verengt sich gleichmäßig nach Norden bis zur alten Schule auf etwa zehn Meter. Die enge nordöstliche Frankfurter Straße erstreckt sich vom Zentralplatz bis zur Friedberger/Hanauer Straße, wo sie sich zu dem dreiseitigen Raum des Marktplatzes aufweitet. Als Endpunkt steht hier auf der Nordseite das historische Rathaus.

Entlang der Frankfurter Straße ist das Erdgeschoß weitgehend mit Einzelhandel und Dienstleistungsgewerbe besetzt. In den Obergeschossen herrscht Wohnen vor. Zentrum des Kernbereiches Frankfurter Straße ist heute die Umgebung des Zentralparkplatzes. Zwei weitere weniger bedeutende Schwerpunkte haben sich am südwestlichen Zugang und am anderen Ende im Bereich des Marktplatzes herausgebildet.

Das Stadtbild wirkt im südwestlichen Abschnitt uneinheitlich. Reste der kleinteiligen historischen Bebauung wechseln mit großformatigen, im Detail und im Gesamtvolumen den Maßstab sprengenden Wohn- und Geschäftsbauten der fünfziger und sechziger Jahre ab. Diese dominieren besonders im Bereich Zentralplatz. Der nordöstliche Altstadtabschnitt ist noch einheitlicher durch die historische Altstadt geprägt.

Das Stadtbild ist allgemein durch die Auflösung der alten Raumkanten gestört. Dies wird vor allem durch die Ausdehnung des Straßenraums auf Privatgrundstücke bewirkt, die als Parkflächen dienen. Ferner wird das Ortsbild durch eine Vielzahl von konzeptionslos hingestellten Elementen wie Telefonzellen, Wartehallen, Abfallcontainern, Absperrgittern, Straßenbeleuchtung usw. beeinträchtigt.”

Eingang der Frankfurter Straße vor der Umgestaltung

Maßnahmen zur Gestaltung

“Im Eingangsbereich der Frankfurter Straße kann durch die Einengung der Fahrbahn viel Bewegungsraum für Fußgänger gewonnen werden.

  • Als Gestaltungsmittel werden Pflasterstreifen und ein Baumraster eingesetzt, wodurch der Eingangsbereich platzartig zusammengefaßt wird. Das Profil ist bis zur Schule breit genug, um zwischen den Bäumen fahrbahnparallele Stellplätze anzuordnen. Weiter östlich, bis zum Zentralplatz, ist nur ein einseitiger Baum- und Parkstreifen möglich.

  • Die Einmündungspunkte der Querstraßen werden durch Aufpflasterungen und Bäume so hervorgehoben, daß eine Unterbrechung des Längsprofils eintritt und damit der Durchfahrtscharakter der Straße gemindert wird. Der Hof der alten Schule sollte als Platz für einen Wochenmarkt in die Überlegungen mit einbezogen werden.”

Eingang der Frankfurter Straße nach der Umgestaltung

“Auch am Zentralplatz bietet die Frankfurter Straße ein ungeordnetes Bild. Hier sollen mit ähnlichen Mitteln die Straße und der Platz zusammengefaßt werden.

  • Die Stellplatzanordnung und Bepflanzung werden so gestaltet, daß neben dem Parken sporadisch auch andere Aktivitäten möglich sind, zum Beispiel Kirmes, Markt oder andere Festveranstaltungen. Es sollte außerdem sorgfältig geprüft werden, ob die Erschließung einer zweiten Ebene unter dem Zentralplatz wirtschaftlich und technisch realisierbar ist.”

Zentralparkplatz in neuer Gestaltung

“Am nordöstlichen Ende der Frankfurter Straße steht das historische Rathaus als Mittelpunkt der alten Stadt.

  • Bei der Platzgestaltung soll das Motiv der Weggabel nach Friedberg und Gronau wieder zugrunde gelegt und durch einen Brunnen betont werden. Das Rathaus wird damit wieder zu einem ruhenden Pol des Ortsbildes und bleibt nicht länger ein historisches Versatzstück.”

Gestaltung am alten Rathaus

Weitergehende Maßnahmen

“Ein Stadtentwicklungsplan für die gesamte Innenstadt wäre sinnvoll. Die angestrebte Wirkung der umgestalteten Frankfurter Straße wird größer sein, wenn sie in einem übergreifenden Zusammenhang mit Maßnahmen der Bauleitplanung und der Stadtbildpflege gestellt wird. Ein solches Gesamtkonzept dient langfristig vor allem dazu, daß die mühsam erarbeiteten Fortschritte durch Fehlentwicklungen im Umfeld und im übergeordneten städtebaulichen Zusammenhang nicht gefährdet werden.”   

So weit das Gutachten. Es verschwand dann ziemlich zügig in der Schublade

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Die Attraktivierung der Landschaft