Gut Kirschen essen 🍒

Der Hauptakteur in meinem Garten bin nicht ich. Das ist, und zwar seit vielen Jahrzehnten, ein Kirschbaum. Es grenzt an ein Wunder, dass er noch steht.

Kann es Schöneres geben?

Im Frühling ist das ein Anblick zum Niederknien. Spaziergänger bleiben stehen. Selbst Kampfhundbesitzer bekommen einen verträumten Gesichtsausdruck.

Eine Million Blüten

“Raten Sie mal”, frage ich dann, “wie viele Blüten trägt der?” Die Überschlagungsrechnung geht so: Rund zehn davon hängen büschelweise zusammen, ein kleiner Ast hat im Durchschnitt zehn Büschel, ein größerer ungefähr zehn Seitenäste und der ganze Baum vielleicht hundert Einzelzweige. Das wären dann grob geschätzt hunderttausend Blüten. Aber es sind wahrscheinlich noch viel mehr. Der Forstwissenschaftler Andreas Roloff hat einmal eine Vorlesung nach draußen verlegt und seine Studenten zählen lassen. Angesichts einer älteren, frei stehenden Vogel-Kirsche kamen sie auf exakt 998 750 Blüten.

Bloß nicht von der Leiter fallen

Die Kulturform der Süßkirsche gehört zur selben Art wie die wilde Vogel-Kirsche Prunus avium. Sie ist, wie der Name schon sagt, ein Pflaumengewächs und damit eng verwandt mit der Schlehe, der Aprikose, dem Pfirsich und der Mandel. Ausgewachsene Süßkirschen sieht man immer seltener, die Bäume werden einfach zu groß, um sie maschinell abernten zu können. »Beim Kirschenpflücken von der Leiter gefallen« ist ein Klassiker in der Unfallchirurgie.

Vier Meter reichen sowieso nicht

Viel häufiger werden inzwischen Sauerkirschen gepflanzt, die niedriger bleiben, später blühen und deshalb nicht so spätfrostgefährdet sind. Süßkirschen gibt es als Herzen oder Knorpeln, Sauerkirschen (Prunus cerasus) als Weichseln, Amarellen oder Schattenmorellen. Letztere wollen aber durchaus nicht im Schatten stehen, der Name leitet sich vom französischen »Château« ab.

Obwohl mein Baum mit geschätzten hundert Jahre immer noch im besten Alter steht, trägt er in manchen Jahren nicht eine einzige Kirsche. Wenn die Blüte verregnet oder gar erfriert, tun sich die Bienen schwer mit der Bestäubung. Was dann noch Frucht ansetzt, rieselt unreif zu Boden.

Ohne Gnade nagt die Made

In anderen Jahren ist die Ernte zwar reichlich, aber mit »Würm« befallen, wie der Nachbar die Maden der Kirschfruchtfliege nennt. Man kann engmaschige Netze spannen, die der Fliege den Zugang versperren. Wie das bei einem fünfzehn Meter hohen Baum funktionieren soll, weiß ich nicht.

Von außen sieht das erst mal gut aus

Der Nachbar hat noch andere Bedenken. “Gefährlicher Baum!”, sagt er immer wieder. Am liebsten würde er ihn absägen. Finger weg, sage ich, der wird uns alle noch überleben.

Alte Bäume haben es schwer bei uns. Der trägt ja kaum noch, heißt es. Oder: Der ist schon ganz morsch. Nach dem Fällen stellt sich oft heraus, dass der Stamm in Wahrheit kerngesund war. Nun ist er Kleinholz, wird im Kamin verbrannt und leistet so seinen Beitrag zum CO2-Ausstoß und zur Feinstaubbelastung. Manchmal habe ich den Eindruck, der Besitzer kann einfach den Gedanken nicht ertragen, dass da einer auf seinem Grundstück steht, der einen zäheren Willen hat als er selbst.

Eines Tages, der Baum hing voll mit Früchten wie nie, kam ein schwerer Regenguss. Knack, machte es, und einer der Hauptäste rauschte zu Boden. Kaum hatten wir ihn aus dem Weg geschafft, kam der nächste hinterher.

 
 

Der Baum sah aus wie gerupft

“Nun ist er endgültig hin”, sagte der Nachbar. “Warten wir’s ab”, sagte ich.

Zeit heilt viele Wunden

Fünf Jahre später sind die Lücken fast wieder geschlossen. Deutschlands ältester Kirschbaum steht übrigens nicht weit von hier auf einer Wiese am Rand von Blofeld, einem Stadtteil von Reichelsheim in der Wetterau. Sein Alter wird auf 160 bis 180 Jahre geschätzt. Seit 2008 ist er als Naturdenkmal ausgewiesen.

 

Ich hätte nichts dagegen, wenn meine Kirsche auch mal so ein Schild bekäme

 

Hundert Jahre, und noch lange nicht Schluss

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