Glasfaser, aber wie?
Wie tief muss man buddeln, um Kabel zu verlegen? Darüber streiten die Experten. Die Deutsche Giganetz setzt in Vilbel auf Erdraketen. Es gibt auch andere Verfahren. Aber die Stadt hat sich nun mal entschieden.
Unter dem Pflaster liegt nicht nur der Strand.
Mitte Oktober 2022 stellte das Unternehmen seine Pläne auf einer Informationsveranstaltung vor. Der Leiter des Projektes, Can Güler, versprach den Teilnehmern, es werde keine Großbaustelle geben. “In Ihrer Straße wird vorne am Gehweg ein Loch gemacht und noch einmal am Haus.” Das Kabel werde dann unterirdisch hindurchgeschossen. In sechzig Zentimetern Tiefe, wie von der Stadt gefordert. Fertig ist der Anschluss.
Auf den ersten Blick wirkt die Erdrakete wie eine Wunderwaffe. Sie kann Rohre unterirdisch verlegen, ohne dass die Straße komplett aufgerissen muss, wie es beim klassischen Tiefbau der Fall ist. Das Verfahren ist auf jeder Verlegetiefe möglich. Nötig ist bloß ein Einstiegs- und ein Endloch, an dem die Rakete wieder in Empfang genommen wird. Ein mit Pressluft betriebener Kolben hämmert sie Stück für Stück durch den Boden, das Rohr für die Glasfaser zieht sie gleich hinterher. So spart sie bis zur Hälfte an Kosten und Bauzeit. Obendrein fallen weniger Abraum und andere Umweltbelastungen an.
Die Nachfrage steigt und steigt
Federführend bei dieser Technik ist die Firma Tracto. Der Gründer Paul Schmidt ärgerte sich schon vor mehr als fünfzig Jahren darüber, dass die frischgeteerte Straße vor seinem Haus immer wieder aufgerissen wurde. So erfand er eine Tunnelbohrmaschine, die ein grabenloses Verlegen von Leitungen und Röhren aller Größenordnungen erlaubt. Für die Verlegung von Glasfaser reicht eine Erdrakete mit knapp fünf Zentimetern Durchmesser. Ebenso gut können auf diese Weise aber auch Stromkabel, Gas- Wasser- oder Abwasserrohre verlegt werden, mit einem Durchmesser von bis zu viereinhalb Metern.
Das Unternehmen aus Lennestadt im Sauerland macht mittlerweile 200 Millionen Euro Umsatz pro Jahr. Denn die Nachfrage steigt und steigt. Wo die große Nord- Südtrasse für die Stromversorgung quer durch Deutschland gebaut werden soll, gibt es angeblich sogar schon Bürgerinitiativen, die sich für das Tracto-Verfahren stark machen.
Es kann auch gefährlich werden
Ganz ohne Risiken ist der Einsatz der Erdrakete allerdings nicht. Denn je nach nach Verlegetiefe kann sie unverhofft auf Leitungen treffen, die dort schon vorher lagen. Nicht immer sind sie sorgfältig in den Unterlagen verzeichnet. Das kann lebensgefährlich werden. In Bochum beispielsweise flog Anfang des Jahres nach einer Glasfaserverlegung mit einer leistungsstarken Erdrakete, einem sogenannten „Horizontalspülbohrgerät“, ein ganzes Haus in die Luft. Die Maschine hatte eine Gasleitung der Stadtwerke perforiert. Nachdem die Mitarbeiter des Bautrupps Feierabend gemacht hatten, floss das Gas weiter und sammelte sich im Keller eines benachbarten Hauses, das wenig später explodierte. Eine 61-jährige Bewohnerin kam ums Leben.
Schlamperei mit fatalen Folgen. © Feuerwehr Bochum
Dass Gefahren im Untergrund lauern, ist nicht neu. Wer hierzulande in die Tiefe geht, stößt auf eine Infrastruktur, die im Laufe der Jahrzehnte immer umfangreicher und komplexer geworden ist. Neben den alten Telefonleitungen liegen dort Strom, Gas, Wasser, Abwasser, Fernwärme. Das gesamte unterirdische Leitungsnetz umfasst in Deutschland rund 40 000 Kilometern. Fast 75 Prozent aller Gemeindeflächen sind davon betroffen.
Wer in der Vergangenheit was und wo genau verbuddelt hat, ist keineswegs vollständig dokumentiert. Entsprechend groß ist das Risiko, dass es bei Bauarbeiten zu Zwischenfällen kommt. Das Institut für Bauforschung hat im Auftrag der Versicherungsgruppe VHV Schätzungen vorgelegt, nach denen pro Jahr rund 100 000 Kabel- und Leitungsschäden entstehen. Entschädigungszahlungen von mehr als 500 Millionen Euro waren bislang die Folge.
Bagger richten den meisten Schaden an
Die Statistik spricht jedenfalls gegen den klassischen Tiefbau: Nach Angaben der VHV Bauforschung sorgt der Einsatz von Baggern drei bis fünfmal häufiger für Schäden als der Einsatz von Erdraketen. Und es gibt auch noch andere Methoden, Glasfaser zu verlegen. Jede hat Vor- und Nachteile.
Mit “X” sind die Anwendungsgebiete gekennzeichnet. © Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur
Relativ schnell, kostengünstig und wenig invasiv ist zum Beispiel das “Trenching”. Doch die Stadt Vilbel hat die Technik in ihrer Vereinbarung mit der Giganetz kategorisch ausgeschlossen. Dahinter steckt ein Streit unter Experten, der längst nicht ausgestanden ist.
Beim Nano-oder Microtrenching wird die Straße nur einen Spalt breit aufgefräst und die Glasfaser häufig nur zehn bis dreißig Zentimeter tief verlegt. Die Bundesregierung und die Netzbetreiber wollen den Breitbandausbau mit Hilfe dieses Verfahrens beschleunigen. Denn bis 2030 soll überall im Land jeder Haushalt Zugang zum Glasfasernetz bekommen. Auf der anderen Seite stehen die Kommunen und die Bauwirtschaft. Und ein Gremium, dass sich mit Normen und Vorschriften befasst. Es besteht aus Experten der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) und des Deutschen Instituts für Normung (DIN).
Tausend Einwände gegen die Norm
In einem Merkblatt wird bereits vor „erheblichen Schädigungen der Straßeninfrastruktur“ und vor drohenden Folgekosten für die Kommunen gewarnt. Die neue FGSV-Richtlinie zum Trenching-Verfahren sollte eigentlich schon längst vorliegen. Und auch die neue Norm „E DIN 18220“. Doch es gab mehr als tausend Einwendungen seitens der Glasfaserunternehmen und Netzbetreiber. Jetzt ist die Rede vom späten Frühjahr 2023. Nach einem radikal beschleunigten “Deutschlandtempo” sieht das nicht aus.
Schon Willy Brandt wollte Glasfaser
Eher nach alter deutscher Behäbigkeit. Denn die Idee vom Netz der Zukunft ist nicht gerade neu. Erstmals formuliert wurde sie in einer noch von Willy Brandt eingesetzten und von seinem Nachfolger Schmidt weitergeführten „Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems“. Schon damals stand die Frage im Raum, ob Glasfaser oder TV-Kabel aus Kupfer die bessere Übertragungstechnik seien. Der Abschlussbericht wurde im Januar 1976 veröffentlicht und bestand aus neun dicken Bänden, unter anderem unterzeichnet vom damals noch sehr jungen SPD-Politiker Oskar Lafontaine.
Von 1985 an sollte es losgehen. Flächendeckend in ganz Deutschland. Dreißig Jahre lang. Dann hätte Deutschland heute eines der dichtesten Glasfasernetze der Welt.
Aber Helmut Kohl war dagegen
Daraus wurde dann nichts. Noch vor dem geplanten Startschuss übernahm Helmut Kohl die Regierung. Und der hatte andere Prioritäten. Ihm ging es vor allem darum, das Meinungsmonopol der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten aus dem Weg zu räumen. Das ging am schnellsten, wenn man erst einmal Kupferkabel in die Erde brachte, über die anschließend Millionen von Haushalten private Fernsehsender empfangen konnten. Zur Seite stand ihm der Bundesminister für Post- und Fernmeldewesen, Christian Schwarz-Schilling, der durchaus auch ein privates Interesse an dem Projekt hatte: Das von seiner Frau geführte Familienunternehmen war beteiligt an einer Kupferkabelgesellschaft, die er zuvor mit dem Computer-Bauer Heinz Nixdorf gegründet hatte.
Und Günter Grass behielt Recht
Und wer behielt am Ende Recht? Der Schriftsteller Günter Grass. “Der Fortschritt”, so schrieb er Willy Brandt seinerzeit ins Stammbuch, “ist eine Schnecke.” Ganz besonders in Deutschland.
Den fleißigen Strippenlegern wird die Arbeit nicht so schnell ausgehen
Jetzt wird sogar auf Brötchentüten geworben. Doch die Vilbeler haben Bedenken. Verschlafen sie den Anschluss die Zukunft?