Wo ein Wille, da ein Weg
Spazieren gehen konnte man in Vilbel schon immer. Sogar wandern. Nur eben nicht auf Premium-Niveau. Aber jetzt. Der neue “Vilbel-Steig” soll die Krönung sein. Wer hatte die Idee? Und woher kam das Geld?
Was heißt hier Premium?
Den Ausdruck “Premium” kennt man aus der Fernsehwerbung. Manche Biere werden damit angepriesen. Erfunden hat den Begriff in den sechziger Jahren die König-Brauerei in Duisburg. Ein “Premium-Bier” ist demnach “die Synthese aus Spitzenqualität, Marktdurchdringung in entsprechendem Preisniveau, Beliebtheit beim Konsumenten und Markenartikel gemäßem Auftreten mit bundesweiter Akzeptanz." Reines Marketing also. Der Inhalt der Flasche beziehungsweise Dose ist nicht entscheidend. Das Etikett darf jeder verwenden, der einen genügend großen Werbeetat hat.
Man kann das lecker finden. Oder auch nicht.
Bei Wanderwegen ist das anders. Hier kommt das Deutsche Wanderinstitut ins Spiel. Es legt bei der Vergabe seines Gütesiegels strenge Maßstäbe an. Für einen “Premium-Stadtwanderweg” beispielsweise müssen folgende Kriterien erfüllt sein:
Rund- oder Streckenwanderung auf einer Länge von mindestens 6 Kilometern
Wegedramaturgie in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen städtischen und Naturerlebnissen
mindestens 1/3 der Gesamtstrecke führen durch zusammenhängende, städtebaulich und touristisch interessante Gebiete
mindestens 1/3 der Gesamtstrecke führen durch städtische oder stadtnahe Grünbereiche
mindestens 50% der Wegstrecke sind auf naturnahen Wegen oder Wegen mit Feinabdeckung zu begehen
Hartbeläge (Natursteinpflaster und Verbunddecken) als Wegbelag sind nur bis zu einem maximalen Weganteil von 50 % und bis maximal 6 Kilometer des Gesamtweges möglich.
Der Grenzwert für Asphalt/Beton liegt bei 40 %.
nutzerfreundliche Markierungen sind im gesamten Wegverlauf, auch innerstädtisch erforderlich
Der Weg beginnt und endet in einer maximalen Entfernung von 500 Metern zu einer aktiv bedienten ÖPNV-Haltestelle an markanten städtischen Ausgangspunkten
Das Zertifikat “Premium-Stadtwanderweg”, so heißt es in der Richtlinie, “ wird nach erfolgreicher Prüfung für jeweils drei Jahre verliehen und bedarf in der Folge einer Nachzertifizierung.”
Bundesweit haben bislang nur vier Städte ein solches Prädikat erhalten. Zwei dieser Wege finden sich in Hessen. Es handelt sich um den “Frankenberger Blickwinkel” und um die “Marburger Ausblicke”.
Wie kam nun Bad Vilbel auf die Idee, sich um das exklusive Gütesiegel zu bewerben? Es hing - wie so vieles - mit dem geplanten Hessentag zusammen. Und schlug sich unter Punkt A9 auch im sogenannten Integrierten Städtischen Entwicklungskonzept nieder. So sah das aus:
Gut eine halbe Million Euro sollte der Spaß demnach kosten. Nicht so viel wie die neue Stadthalle. Aber auch kein Pappenstiel. Woher sollte das Geld kommen? Wofür sollte es ausgegeben werden? Wer entschied darüber? Wurden Nachweise geführt? Welche Kosten entstanden am Ende für die Stadt?
Auskunft über das gesamte Investitions-Paket gab vor vier Jahren ein Artikel aus der “Frankfurter Neuen Presse”. Er bezog sich auf einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung über außerplanmäßige Ausgaben für den (dann wegen Corona ausgefallenen) Hessentag 2020. Bewilligt wurden Mittel in Höhe von insgesamt acht Millionen Euro. Jeweils vorgesehen für die Neuanlage eines Premium-Stadtwanderweges (580.000), die Schaffung von touristischen Pfaden (330.000), die denkmalgerechte Fassadensanierung des historischen Stadthauses (290.000), die Umsetzung des Freiflächenkonzeptes Frankfurter Straße (5.500.000) und die Attraktivierung der gesamten Parklandschaft Kurpark (1.330.000).
Den parlamentarischen Gremien wurde auf Antrag der Grünen das Recht eingeräumt, zu gegebener Zeit über die Einzelmaßnahmen zu beraten. Allerdings nicht darüber, sie auch zu beschließen. Sodass die Planung weitgehend unbehelligt von Einwänden und Bedenken in Angriff genommen werden konnte.
Welche Aufträge wurden vergeben? An wen? Mit welchem Ergebnis? Gab es eine Ausschreibung? Alternativen? Schwer zu sagen.
Die Finanzierung immerhin lässt sich nachvollziehen. Sie erfolgte zum Teil durch die WI-Bank. Die fördert in Hessen unter anderem den sozialen Mietwohnungsbau. Doch darum ging es in Vilbel nicht. Sondern stattdessen um das Programm Tourismusförderung. Darin werden Fördermittel des Landes Hessen und des “Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung” (EFRE) zur Verfügung gestellt. In beiden Fällen verpflichtet sich die antragstellende Gemeinde, fünfzig Prozent der Ausgaben selbst zu tragen.
Mit anderen Worten: Die Stadt stand für den Wanderweg mit 280.000 Euro gerade. Und für den Rest der Verschönerungsmaßnahmen mit vier Millionen Euro. Alles zusammen kein Geschenk. Sondern eins zu eins aus Steuergeldern finanziert.
Und wie wird das nun mit dem Vilbeler Premiumweg? An Schildern mangelt es jedenfalls nicht mehr.
Allein zwischen dem Altem Rathaus, der Auferstehungskirche, dem Festplatz und der Burg findet kommt man auf drei Kilometern Wegstrecke an zwei Dutzend neu aufgestellten Infotafeln und mehr als hundert neuen Wegmarken vorbei. Komplettiert wird dieses Angebot weiterhin durch die schon seit längerem aufgestellten Wegweiser für Radler, Wanderer, Pilger oder Äpplerfreunde .
Willkommen am Südbahnhof
Die offizielle Einweihung des neuen Vilbel-Steigs steht noch aus. Dr. Jürgen Schmeißer vom Deutschen Wanderinstitut teilt dazu auf Anfrage mit:
“Mitarbeiter des Instituts werden in den kommenden Tagen den Weg mit dem Ziel einer Zertifizierung als "Premium-Stadtwanderweg" begehen und bewerten. Nach der Auswertung und Beurkundung erfolgt die mediale Information durch den Wegebetreiber und die Aufnahme in das Verzeichnis der Premium-Stadtwanderwege unter www.wanderinstitut.de/premium-stadtwanderwege/wege.”
Na denn. Herzlichen Glückwunsch.
Fun fact: Es gibt tatsächlich einen Qualitäts-Stadtwanderweg zum Thema Bier. In Ehingen an der Donau. Zertifiziert durch den Deutschen Wanderbund.