Das Lügengebäude

Asse II hätte niemals als Endlager für Atommüll genehmigt werden dürfen. Doch alle Bedenken wurden ignoriert

Von Jörg Albrecht

Der 29,Januar 1961 war kein Datum, das in besonderer Weise in die Geschichtsbücher eingegangen wäre. Der Deutsche Wetterdienst meldete für Bonn Schneeregen, für Kassel bedeckten Himmel und für Karlsruhe Wolken. Und in Remlingen bei Wolfenbüttel, nahe der Zonengrenze, trafen sich zehn Experten, um einen Kuhhandel vorzubereiten.

Das Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung war mit den Kollegen Schwibach und Holtzem angereist, die in Kassel ansässige Wintershall AG war durch Direktor Heckmann samt Begleitung vertreten, die Gesellschaft für Kernforschung schickte aus Karlsruhe die Herren Krause, Ramdohr und Hempelmann.

An diesem Tage sollte eine Salzgrube besichtigt werden, die gerade dichtgemacht wurde. Den Betreibern war sehr daran gelegen, diese Altlast möglichst schnell loszuwerden. Und die Käuferseite witterte die Chance, dort neue Lasten zu entsorgen. Denn am Horizont zeichnete sich bereits ab, dass die Bundesrepublik bald schon ein Problem mit radioaktiven Abfällen bekommen könnte. Vier Jahre zuvor war zwar in Kahl am Main erst ein einziger Versuchsreaktor ans Netz gegangen, mit einer Leistung von gerade mal 16 Megawatt. Doch die Politiker in Bonn mit dem Atomminister Franz Josef Strauß an der Spitze drängten darauf, recht bald und in großem Stil in die Technik einzusteigen. Die Kohlebarone im Ruhrgebiet waren zunächst wenig begeistert. Um sie zu überzeugen, versprach man ihnen ein Geschenk. Der Bund würde den zu erwartenden Atommüll übernehmen und für dessen Beseitigung sorgen. Das sollte möglichst preiswert vonstattengehen.

Der Historiker Detlev Möller hat im Detail untersucht, wie damals hinter den Kulissen gekungelt und getrickst wurde. Nicht jeden Vorgang konnte er aufklären. Aber eines schon: Die Schachtanlage Asse II war von Anfang an als Endlager vorgesehen. Und das trotz des schlechten Eindrucks, den sie schon bei der Vorbesichtigung machte.

Bei ihrem Besuch notierten die Experten aus Karlsruhe etliche Mängel. Der Förderschacht war undicht, es tropfte Süßwasser hinein. Viele ältere Abbaukammern waren nicht mehr betretbar. Doch für die Sicherheit der untertägigen Anlage bestehe wohl keine akute Gefahr. Positiv zu werten sei vor

allem der Preis, der seitens der Betreiber gesprächsweise auf 600.000 DM beziffert wurde – hier scheine es noch Verhandlungsspielraum zu geben.

So kam der Deal schließlich zustande. Am 12. März 1965 ging das Bergwerk in den Besitz der eigens zu diesem Zweck gegründeten Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) über. Der Bund legte noch hunderttausend Mark drauf. Eine eingehende Untersuchung der geologi´schen und hydrologischen Situation in der Asse oder eine gründliche Sicherheitsstudie waren da nicht mehr drin. Selbst die dringend notwendige Sanierung des undichten Schachtes wurde erst einmal verschoben.

Intern war man sich durchaus im Klaren darüber, dass hier mit einer denkbar heißen Nadel gestrickt wurde. Doch nach außen drang davon nichts. Auf Fachtagungen zeigten sich die Mitarbeiter der GSF über jeden Zweifel erhaben. Und in der Öffentlichkeit auch mal hemdsärmelig, wenn es darum ging, Kritiker in ihre Schranken zu weisen.

Zwischen 1964 und 1978 sind hunderttausende Besucher durch die Asse geschleust worden. Im Landkreis Wolfenbüttel gab es kaum einen Verein, kaum eine Schulklasse und keinen Politiker, der nicht mit dem Förderkorb nach unten fuhr. Unten angekommen, ging es auf offenen Geländewagen und mit hohem Tempo wie durch eine Geister- und Achterbahn. Ab und zu stieg man aus und bestaunte die schweren Kipplader, die, beladen mit gelben Blechfässern, radioaktive Abfälle heranschafften. Die kämen beispielsweise aus der Forschung oder aus Krankenhäusern, wurde gern erzählt; Kittel, Hand- schuhe, Proben mit geringer Strahlung, die man gefahrlos handhaben könne.

Das Lügengebäude brach erst viel später in sich zusammen. Im Jahr 2008 wurde der Laden geschlossen. Sein prominentester Vertreter Klaus Kühn, Chef der wissenschaftlichen Abteilung, Honorarprofessor der TU Clausthal, Mitglied noch jeder Kommission zu diesem Thema und wahlweise „Endlagerpapst“ oder „Ikone der Endlagerforschung“ genannt, wurde in Schimpf und Schande vom Hof gejagt.

Diverse Aufsichtsämter, Bundesbehörden und Gesellschaften geben sich seither auf der Asse die Klinke in die Hand. Nicht zuletzt war und ist die Grube auch eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.

© Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung,